Der Bücherfrühling ist da, allerorten finden wieder Lesungen statt. Gut organisierte Lesungen? Drucken Sie einfach folgenden kleinen Test aus und prüfen Sie bei nächster Gelegenheit selbst, wie gut die Lesung, die Sie besuchen, vorbereitet wurde.
Miserabler Besucherservice, fehlende Information über das Programm, überhöhte Eintrittspreise, schlechte Akustik, mangelnde Vorbereitung der Signierstunde – all das kann Ihnen in jeder Kulturveranstaltung widerfahren. Schlecht organisierte Lesungen erkennen Sie an folgenden Details:
1. Die Lesung beginnt mit einer oder mehreren „Einführungen“ voller kulturpolitischer Statements, Zitaten aus Literaturkritiken, Aufzählung von Buchtiteln. Dauer: mindestes 10 min. Die Autorin / der Autor (= die eigentlichen Hauptakteure) sitzen herum.
Check: Beobachten Sie während dieser Reden das Gesicht der Autoren.
(Variation: Die Einführung dauert nur 30 Sekunden und enthält trotzdem Fehler, die vom Autor unmittelbar korrigiert werden.)
2. Es werden Passagen vorgelesen, deren Kontext unverständlich ist. Variante: Es wird literaturwissenschaftlicher Fachjargon gesprochen.
Check: Verstehen Sie, was grade gelesen oder gesprochen wird?
3. Die Moderatoren stellen Talkshowfragen, statt über den Text zu reden. „Wie gehen Sie mit Kritik um?“, „Was sagt Ihre Frau zu ihren Büchern?“ „Was halten Sie von George Bush?“ „Was sind ihre Lieblingsbücher?“
Check: Achten Sie auf die Versuche der Autoren, das Thema zu wechseln.
4. Bei einer fremdsprachigen Lesung wird alles wörtlich übersetzt. Die Lesungspassagen in der fremden Sprache und im Deutschen sind die gleichen.
Check: Beobachten Sie die Besucher, die die entsprechende Fremdsprache sprechen.
(Dabei können Sie gleich die Qualität der Übersetzung prüfen, z.B. wenn die Übersetzer aus dem Publikum heraus korrigiert werden.)
5. Einzelne Teile (Lesepassagen, moderiertes Gespräch, Publikumsgespräch) oder die ganze Veranstaltung dauern übermäßig lang.
Check: Besucher gehen vor Ende der Veranstaltung.
6. Ihnen ist am Ende des Abends nicht bewusst, warum es sich bei dem vorgestellten Buch um etwas Wichtiges handelt, für das Sie Zeit und Geld aufwenden sollten.
Check: Kaum jemand kauft ein Buch am Büchertisch.
In Lesungen entstehen im besten Fall selbst Geschichten. So kann sich aus jedem Fehler, aus jedem Aufbrechen der geplanten Situation etwas ergeben. Immer spannend wird es, wenn Autoren und Moderatoren in eine Kontroverse geraten. Das ist „live“. Aus diesen Brüchen wird jedoch nur etwas entstehen, wenn die Lesung sorgfältig geplant ist. Sonst zerbricht die Lesung an diesen Details.
Thomas Böhm