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Das Unmögliche


 Zettelkasten

Die Buchdruckerei hat viel Gutes gestiftet; der Dichtkunst hat sie viel von ihrer lebendigen Wirkung geraubet.

Johann Gottfried Herder


 Über zurückrufende Bücher

Die potentiell größten Feinde des Lesers wie des Lesungsveranstalters sind die Handybesitzer.

Ist das Lesen genau wie das Zuhören bei einer Lesung doch eine Art Wachtraum, in den die  Handybesitzer wie Poltergeister eindringen. 

Wenn ich nicht wüßte, wie Handys aussehen, und sie mir anhand der Geräusche vorstellen müßte, die sie von sich geben, dann würde ich mir ein tennisballgroßes, schwarzes, zotteliges, gesichtsloses Wesen vorstellen, eine Kreatur ohne Intelligenz, die nur in der Lage ist, dümmliche Kurzversionen von Lautfolgen abzusondern.

Die Handybesitzer – zum Beispiel die, die in den Ruheabteilen der Deutschen Bundesbahn telefonieren - haben sicher keine so glockenklare Vorstellung von den Büchern. Das wäre doch eine schöne Rache, wenn sich das änderte. Wenn die Bücher anfangen würden zurückzurufen. Die Handybesitzer nehmen den Anruf an, und hören plötzlich eine Stimme, die sie mit einem literarischen Zitat darauf hinweist, wie sehr ein Handyanruf über sein Ziel hinausschießt. Einem Zitat zum Beispiel aus der siebten Duineser Elegie Rainer Maria Rilkes, wo das lyrische Ich eine Liebende aus dem Grab zurückrufen will: „Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur / käme... Es kämen aus schwächlichen Gräbern / Mädchen und ständen. Denn, wie beschränk ich, / wie, den gerufenen Ruf?“

Denkbar wäre auch ein literarischer Anschlag auf das Ohr mit einem der Letzten Gedichte Ernst Jandls: „das ans ohr gepreßte ohr / das ans ohr geheftete ohr / das ins ohr gestopfe ohr / das durchs ohr dringende ohr / das aus dem ohr herauskommende ohr / das aus dem ohr fallende ohr / das ohr auf dem boden / das vom ohr zertretene ohr“.

Das Prinzip der bei den Handybesitzern anrufenden Bücher ist: Literarische Verstörung als Antwort auf telefonbedingte Störung. Die Bücher würden natürlich zulasten der Handybesitzer von 0190-Nummern anrufen, damit denen klar wird, was für einen wertvolles Gut die Literatur ist.

Ich habe mir diese dunklen Gedanken nach der Lesung mit Peter Carey gemacht, in der besonders apart-störende malaysische Klingeltöne besonders lang zu hören waren, weil die Angerufene in der Hektik den roten Knopf nicht fand.

Dann das Seltsame: während ich neulich in der Neuübersetzung von Tolstois Krieg und Frieden blättere, klingelt mein Handy mit einer Melodie, die ich sicher nicht eingestellt habe. Ich hebe ab – niemand dran. Wollte mir das Handy etwa ein Friedensangebot unterbreiten? Ein Stillhalteabkommen würde mir genügen.

 

Thomas Böhm

                                                               



 
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