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Das Unmögliche


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Im Gespräch bin ich kein Matador.

Gottfried Benn über sich selbst.

 Lesen lassen, lesen machen

Lesungen aus der Perspektive eines Sortiments-Buchhändlers
von Benedikt Geulen

   

Festivals machen Furore, Literaturhäuser großes Programm, Theaterensembles veranstalten szenische Lesungen. Eine Entwicklung, die in ihrer Breitenwirkung wohl erfreulich ist. Wie aber sollen kleinere Buchhandlungen mit einem Lesungsprogramm bestehen?          



Eine Agentur. Ein knackiger Titel. Tausende Programmhefte. Ein gutes Dutzend Sponsoren.
Karten an allen Vorverkaufsstellen. Einen Monat lang Großplakate in der ganzen Stadt. Pressekonferenz. Zeitungsartikel. Radio- und Fernsehankündigungen. Hundert Veranstaltungen in einer Woche. Zigtausende Besucher. Ausverkaufte Säle. Neuer Rekord.

„Das gab es zu meiner Zeit nicht“, könnte der nostalgische Stadtteil-Buchhändler in seinen kleinen Laden und die große leere Kasse blickend mit einem Stoßseufzer gen Literaturolymp (das oberste Regalbrett mit den Lederausgaben) ausrufen. Recht hätte er zwar, egal ob „seine Zeit“ vor zehn oder fünfzig Jahren stattgefunden hat. Aber erkannt und gewonnen wäre damit natürlich noch nichts. Offensichtlich ist ihm, und vielleicht auch etlichen seiner Kolleginnen und Kollegen, zwischenzeitlich etwas abhanden gekommen. Die Auswahl an Büchern ist es nicht. Davon gibt es von Jahr zu Jahr einige tausend mehr. Und „wirklich gute“ sind selbstverständlich auch genug darunter. Allerdings kommt es in der mit einiger Hingabe geführten Belletristikabteilung in letzter Zeit immer seltener zu Kundengesprächen, in denen eine persönliche Lektüreempfehlung an Mann oder Frau zu bringen wäre. Meist betritt der Kunde den Laden etwas gehetzt noch schnell am Samstag Mittag („sorry, mein Wagen steht in der Einfahrt“) und verlangt nach „Sie wissen schon, die junge Autorin, die gerade in der Oper gelesen hat“. Danke und schönes Wochenende. Daß genau diese Autorin vor vier Jahren, als sie eben noch jünger war, hier in diesem Geschäft vor zwanzig Zuhörern bereits ihr erstes Buch vorgestellt hatte, diese Bemerkung des Buchhändlers prallt an der wieder zuschwingenden Ladentür ab. Was soll´s? Man könnte meinen: Verkauft ist verkauft. Und eine Buchhandlung ist schließlich keine Missionsstation.

Buchhandels-Slogans waren noch nie imposant


Festivals machen Furore, Literaturhäuser großes Programm, Theaterensembles veranstalten szenische Lesungen aktueller Bestseller. Eine Entwicklung, die in ihrer Breitenwirkung wohl erfreulich ist. Unbeholfene Buchhandels-Slogans wie „Wir besorgen jedes Buch über Nacht“ oder „Lesen ist wie Reisen im Kopf“ waren nie besonders imposant. Heute rufen sie da, wo sie noch nicht von der Eingangstür entfernt wurden, ein mitleidiges Lächeln hervor.
Wie soll es gehen, wenn die eigene kleine Buchhandlung nicht gerade die beste (völlig unerschwingliche) Verkaufslage hat und zu allem Überfluß auch noch einen Schwerpunkt auf Belletristik legt? Autorenlesungen waren für ambitionierte Buchhändlerinnen und Buchhändler durchaus ein probates Mittel, ihrem Geschäft ein besonderes Profil zu geben, und dem Kundenkreis mehr als nur eine gute Auswahl zu bieten, ja ihn vielleicht sogar dadurch zu erweitern. Wenn man sich heute allerdings in seiner Stadt umsieht, fällt auf, daß dieses Feld von den meisten Buchhandlungen zunehmend den oben genannten Veranstaltern überlassen wird, wahrscheinlich überlassen werden muß. Einerseits sind viele der Autoren, und natürlich gerade die, die wirklich Publikum anziehen, bereits von Großveranstaltern gebucht. Und wo sollen all die vielen tausend zu erweckenden Neu- und Erstleser, Buchentdecker und Literaturenthusiasten herkommen und hingehen? Was nicht in Leuchtlettern auf Plakaten steht, wird unversehens zum special interest degradiert, und so schrumpft sich manches kleine Angebot wenn nicht gesund, dann eben ganz weg. Der Effekt allerdings könnte etwa so ausfallen wie die vieldiskutierte und in der Branche zu recht gefürchtete Abschaffung des festen Ladenpreises für Bücher. Was einmal weg ist, wird es so schnell nicht wieder geben. Will sagen, parallel zur massiven Polarisierung von Groß- und Kleinbuchhandlungen, die die Branche durchgemacht hat, verlagert sich offensichtlich (und vielleicht folgerichtig) auch das genuin buchhändlerische Individual-Angebot der Autorenlesung in Richtung agenturgesteuerter Großlogistik. Oder marketingtechnisch ausgedrückt: Power-Placement von Spitzen-Produkten löst schwer kalkulierbare flächendeckende Programmpflege ab. Was dadurch gewonnen wird und was verloren geht, spielt möglicherweise nicht nur eine unbedeutende Nebenrolle bei der Entwicklung einer ohnehin umsatzschwachen Branche. Vielmehr ist eine solche Verschiebung durchaus exemplarisch für das, was in der Kulturlandschaft auf allen Ebenen geschieht. Es besteht die Gefahr, daß ein vielfältiges, weil individuell und subjektiv ausgewähltes Angebot stark reduziert wird, womöglich verschwindet, und an seine Stelle ein komplett institutionalisiertes und durchdesigntes Programm tritt, das sich an verschiedenen Orten mit nur geringen Variationen zyklisch wiederholt. Die immer wieder beschwörungsartig vorgebrachte Formel, das eine (die Großveranstaltung) würde dem anderen (dem kurzfristig geplanten und in überschaubaren Dimensionen durchgeführten ganzjährigen Programm) nicht schaden, ist im Grunde nur Teil eben der Werbekampagne, die das Problem erst in die Welt gesetzt hat. Fakt ist wohl eher, daß am Ende einer solchen Entwicklung allgemein nicht mehr Autoren wahrgenommen und Bücher verkauft werden, sondern allenfalls mehr Bücher von weniger Autoren den Besitzer wechseln, und in Summe dabei etwa der gleiche Umsatz herausspringt, allerdings für weniger beteiligte Autoren, Verlage und Buchhandlungen. Nennen wir es einfach „Konzentration“.

Was spricht für Autorenlesungen in Buchhandlungen?


Aber es soll ja nicht nur negativ gedacht werden. Jenseits von Weltschmerz und Sentimentalität könnte es immerhin auch heute noch ein paar plausible Argumente geben, die für eine mehr oder weniger regelmäßige Durchführung einzelner Autorenlesungen in Buchhandlungen sprechen. Um es einmal idealistisch auszudrücken, funktioniert eine Buchhandlung im besten Falle als Kommunikationsplattform. Ein simples Kundengespräch - das nebenbei bemerkt in einigen großen Häusern der Branche, wie man hört, generell nicht mehr erwünscht ist, da zu zeit- und kostenintensiv - kann, zumindest wenn es um persönliche Lektüre geht, sehr schnell eine inhaltliche Dimension erreichen, die das schlichte „Sie suchen, wir verkaufen“ um einiges übersteigt. Es macht nun einmal einen Unterschied, ob ein Verkäufer etwa die Funktion eines Taschenrechners erläutert, oder ob er versucht, jemanden zur langwierigen Lektüre des umfangreichen Romans eines noch unbekannten Debütanten zu animieren. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, das allerdings oft zu einer Form der Kommunikation führt, die, wenn sie glückt, ein längerfristiges Vertrauensverhältnis werden kann. Das hehre Wort ist durchaus am Platze, denn wer möchte schon auf Dauer das Risiko eingehen, ohne eine verläßliche Vermittlerinstanz viel Lesezeit und auch noch einiges Geld für bedrucktes Papier einfach so aufs Spiel und eventuell in den Sand zu setzen. Hier gilt es natürlich gleich wieder eine Einschränkung zu machen: Die Zahl derer, die die Buchhandlung mit einem Einkaufszettel, den ihnen Rezensenten diverser Massenmedien oder, wie oben erwähnt, die Literaturfestivalprogramme diktiert haben, betreten, ist in den letzten Jahren um ein vielfaches gestiegen. Und damit ist der individuelle Kommunikationsbedarf gefallen. Nicht zuletzt diesem Umstand gilt es, wenn man den erläuterten Kommunikations-Idealismus nicht komplett ad acta legen möchte, entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang sei die auch schon etwas angestaubte Parole „Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde“ (Jean Paul) zitiert. Wenn eine Buchhandlung es sich zum Ziel setzt, dauerhaft eine bestimmte programmatische Vielfalt anzubieten, darf sie nicht zur bloßen Abholstation für Bestseller und preisreduzierte Restauflagen degenerieren. Bücher haben wie dicke Briefe eine „message“, und die gilt es rüberzubringen. Genau das kann und sollte ein Teil der buchhändlerischen Betätigung sein. Und jetzt kommen wir endlich zu dem, was man vielleicht die „Königsdisziplin“ innerhalb dieser Kommunikationsanordnung nennen könnte, die Autorenlesung. Was kann eigentlich motivierender sein, sich mit Literatur zu beschäftigen, als in einen direkten Dialog zwischen Autor und (potentiellem) Leser einzutreten, bzw. ihn zu inszenieren? Selbstverständlich gibt es auch hier die ganze Skala von hochinteressant bis langweilig. Aber es ist allemal eine Gelegenheit, bei all dem alltäglichen Geplauder an einem ganz besonderen und wahrscheinlich einmaligen Diskurs mit überdurchschnittlich hohem Erlebniswert teilzunehmen. Und eine Buchhandlung wird natürlich Wert darauf legen, ihren Kunden nicht irgend ein Thema und irgend einen Autoren zu bieten, sondern ganz gezielt Gelegenheiten suchen und wahrnehmen, möglichst die Autoren der interessantesten Bücher aus ihrem Sortiment zu präsentieren. Mit einem solchen Veranstaltungsprogramm wird die Buchhandlung wahrscheinlich ihr Profil in erheblichem Maße schärfen und zumindest auf Dauer auch einige Aufmerksamkeit für sich, ihr Sortiment und „ihre“ Autoren erzeugen.

„Stamm-Autoren“ von Buchhandlungen


Letzterer Effekt, daß eine Buchhandlung, die über eine längere Zeit Autorenlesungen veranstaltet, so etwas wie „Stamm-Autoren“ haben kann, klingt nun vielleicht hoffnungslos altmodisch und auch etwas verwegen. Es ist aber, wenn man sich einmal unter Autorinnen und Autoren umhört, durchaus der Fall, daß diejenigen, die häufiger oder gar regelmäßig auf Lesereise gehen sehr gerne in bestimmte Buchhandlungen zurückkehren und sich auf die wiederholten Begegnungen mit bestimmten Buchhändlern und ihrem Publikum freuen. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels veröffentlichte vor einigen Jahren einmal eine Umfrage unter Autoren, die dies deutlich belegte. Das alles muß und soll keineswegs die Bildung festgefügter und eingeschworener Lesezirkel bedeuten. Vielmehr ist es eine Möglichkeit, die Buchhandlung als Kommunikations-Drehscheibe zu profilieren und daraus auf längere Sicht gut und gerne auch ökonomischen Gewinn zu schöpfen. Kaum jemand wird über ein Buch Fundierteres sagen können als sein Autor, und schließlich verkaufen sich signierte und gewidmete Bücher gemeinhin noch besser als „original“-verschweißte.

Idealismus ist nicht modisch. Aber er ist es wohl immer noch, der den Spaß
ausmacht an einem Job, durch den letzten Endes noch kaum jemand reich
geworden ist. Fassen wir es so zusammen: Wenn das in Mode gekommene Wort
der "Nachhaltigkeit" in diesen Zusammenhängen einen Sinn und einen Ort hat,
dann wohl eher in den Buchhandlungen mit ihrer kontinuierlichen
Vermittlungsarbeit als in den ebenso schnell geleerten wie gefüllten
Festivalzelten. Nur so hilft "lesen lassen" dauerhaft beim "lesen machen".

 

 




 
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