Klein, Georg
Interview mit Georg Klein über das Gelingen von Lesungen
Wovon hängt das Gelingen einer Lesung ab? Alle Kräfte, die auf die Beteiligten einwirken, können die Lesung beschädigen oder ihr Gelingen begünstigen. Hat der Vortragende die Nacht zuvor genug geschlafen? Kann der Moderator den Autor insgeheim nicht ausstehen? Hat das Publikum Durst, weil die Luft ganz furchtbar trocken ist? Sind alle 22 Handys ausgeschaltet? Sitzt ein Lächeln in der ersten Reihe?
Was können Sie als Autor, was muß der Veranstalter für das Gelingen einer Lesung tun? Autor und Veranstalter sind Partner auf Zeit. Sie sind sich gegenseitig nicht mehr – aber auch nicht weniger! - als einen schönen Abend schuldig. Pflicht und Schuldigkeit stehen jedoch immer unter dem höheren Diktat des Glücks. Eigentlich ist es wie in der Liebe: Gebt Euer Bestes! Dann gibt mit etwas Glück auch der kleine dicke Glücksgott sein Sahnehäubchen hinzu ...
Gibt es auch Ansprüche an das Publikum? Wer hat eigentlich das Publikum erfunden? Vermutlich dieselbe höhere Macht, die auch die Katze erschaffen hat. Ein gutes, also katzenhaftes Publikum will raffiniert gestreichelt, originell umspielt und exquisit gefüttert werden. Aber zugleich hat dieses Tier ein untrügliches Gespür für Überfütterung, plumpe Tricks und Zudringlichkeit. Ein Publikum, das sein Wesen als Katze nicht krampfhaft verleugnet, das seinen Instinkten folgt, kann eigentlich gar nichts falsch machen.
Was ist für Sie der wichtigste Moment in einer Lesung? Wenn eine Lesung ein Kunstakt ist, eine Kunsterfahrung möglich macht, dann muß es zu langen Momenten besonderer Zeitwahrnehmung kommen: Der Dunst der Alltagszeit, dieser zähe Zeitstromnebel, zerreißt. Plötzlich sind wir ganz da, als besäße der Augenblick ein eigenes Firmament, eine Himmelskuppel nur für sich. Wie jede Schönheit kann dies auch schreckhaften oder krisenhaften Charakter haben, dann balanciert die Veranstaltung auf der Kippe, irgendeiner hält es nicht aus, springt auf und rennt türenschlagend davon ...
Was ist aus Ihrer Sicht das Potential von Lesungen für die Vermittlung von Literatur? Die Leserin, der Leser, die den Schutzraum häuslichen Schmökerns verlassen und sich zu Literaturveranstaltungen aufmachen, sind bereits in persona Elemente literarischer Öffentlichkeit. Mit diesem Startkapital müssen die Veranstalter und die Autoren wuchern. Wer schon durch sein Kommen, Lust auf Öffentlichkeit beweist, dem muß die Möglichkeit zum Verweilen, zum Gespräch, zu erweiterter Öffentlichkeit gegeben werden. Von Mund zu Mund verbreitet sich die Kunde von guten Büchern immer noch am besten.
Wie sähe eine Traumlesung für Sie aus? „Did you see Jackie Robinson hit that ball?“ Das ist der Titel eines Hits aus dem Jahre 1949. Jackie Robinson war ein großer Baseball-Spieler. Und von jenem magischen Moment, in dem Robinsons Keule den allerschwierigsten Ball absolut perfekt traf, davon kann der Fan ein Leben lang immer neu erzählen. Ein Traumlesung enthält einen solchen ‚magic moment‘. Und nur wer leibhaftig dabei war, hat dann die Kanonenkugel der Literatur in ihrem rasenden Flug stillstehen gesehen ...
Fragen: Thomas Böhm
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